Fünf Mythen über Dominanz und ihre wissenschaftliche Widerlegung


von Lisa Stolzlechner im Happy Training Newsletter im Dezember 2016/Jänner 2017. Newsletter abonnieren

1. Hunde leben in Rudeln

Ein Rudel ist eine soziale Einheit, die gemeinsam Jungen aufzieht, jagt und das Territorium als Gruppe verteidigt (Boitani et al. 1995). Wölfe leben in Rudeln, also in Familienstrukturen von Elterntieren und ihren Nachkommen. Im Gegensatz dazu können sich wilde Hunde Gruppen anschließen, leben aber hauptsächlich entweder als Pärchen oder als Einzelgänger (O’Heare 2008). Anders als Wölfe helfen wilde Hunde sich gegenseitig nicht bei der Jungenaufzucht und jagen sehr selten kooperativ. Sie präferieren das plündern von Nahrung oder jagen lieber im Alleingang (Gansloßer 2012, O’Heare 2008).

2. Hunde müssen sich wie Wölfe dem „Alpha“ unterordnen

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es keine Einigung über den Begriff „Dominanz“, dennoch wird die Sinnhaftigkeit von Dominanz in Bezug auf den Haushund intensiv diskutiert. Im 20. Jahrhundert wurden Dominanzstrukturen erstmals wissenschaftlich an in Gefangenschaft gehaltenen Wölfen untersucht. Die Gehegewölfe stellten aber nicht etwa ein Familienkonstrukt, sondern wild zusammen gewürfelte Tiere dar – wodurch für die Spezies unnatürliche Hierarchien entstanden. Rudolf Schenkels Beobachtungen von in Gefangenschaft gehaltenen Tieren entfachte den Begriff des „Alpha“-Wolfs (Schenkel 1947). Aus diesen Untersuchungen wurde viel Interpretiert und ins Hundetraining abgeleitet. Ein Wolfsrudel wird nach heutigen Untersuchungen als Familienverband gesehen, bei denen die Wolfseltern das Privileg haben Entscheidungen zu treffen, wie z.B. die Jagd einzuleiten. Weniger erfahrene Tiere schließen sich der Entscheidung der Erfahreneren an. Dabei kommt es nicht zu Kämpfen oder Unterwerfungen oder Zwang. Demnach war es aus mehreren Gründen falsch, die Rechtfertigung für Gewalt in der Hundeausbildung aus dem Dominanzkonzept bzw. der Hierarchie von Gehegewölfen abzuleiten.

3. Unerwünschtes Verhalten entsteht durch ein Dominanzproblem in der Hund-Mensch-Beziehung

Ein Dominanzmodell dient nicht der Identifikation der Ursachen von gezeigtem Problemverhalten und trägt auch nicht dazu bei, eine geeignete Behandlung zu finden, es ist lediglich ein Label, welches keine große Aussagekraft hat. Was genau will ein Hundebesitzer sagen, wenn er seinen Hund als "dominant" bezaichnet? Einer meint Rammeln am Bein, der nächste meint Abhauen beim Spaziergang, Leinenzerren oder ein etwas aufdringliches Spielverhalten unter Artgenossen.
Das Konzept der Dominanz dreht sich um Kontrolle und Einfluss und darum, wer in einer Gruppe der „Verlierer“ und wer der „Gewinner“ ist. Im Training mit Hunden haben wir die Möglichkeit Mensch UND Hund gewinnen zu lassen, indem wir Menschen die Umwelt der Hunde entsprechend gestalten und die Hunde trainieren (O’Heare 2008).

4. Ich zeige meinem Hund sehr deutlich, wer der Chef ist, damit er sich zu benehmen lernt.

Im Gegenteil. Viele Studien zeigen negative Effekte von Bestrafung im Hundetraining (Blackwell et al. 2008 S. 207-217, Arhant et al. 2010, S. 131-142) und Korrelation mit Problemverhalten, geringerer Gehorsam und mehr Ablenkung während dem Training (Haverbeke et al. 2008 S. 110-122, Herron et al. 2009 S. 47-54, Hiby et al. 2004 S. 63-69, Roll and Unshelm 1997 S. 229-242). Direkte Effekte können sein: Angst und Stress (Beerda et al. 1998 S. 365-381, Schalke et al. 2007 S. 369-380, Schilder and van der Borg 2004) und auch Aggression (Herron et al. 2009). Bestrafung im Hundetraining scheint auch mit Hund-Hund- Aggressionen zu korrelieren (Blackwell et al. 2008, Roll and Unshelm 1997).

5. Ich darf meinen Hund niemals beim Zerrspiel gewinnen lassen, da er sich mir sonst in Zukunft nicht mehr unterordnen und die Weltherrschaft bald an sich reißen wird.

Die Universität Bristol untersuchte in einer Studie diese Vermutung und es ließ nichts darauf schließen, dass die Hunde aufgrund von wiederholten „Siegen“ bei Zerrspielen „dominanter“, ungehorsamer oder aggressiver geworden wären. Das gemeinsame Spiel mit dem Menschen und auch ein Sieg führt zu einem glücklichen, selbstbewussten Hund, der Spaß hat. Nur zu also – spielen Sie mit Ihrem Hund, haben Sie gemeinsam Spaß und lassen Sie Ihren Hund ruhig gewinnen. (Bradshaw 2013)

Lisa Stolzlechner, BSc. ist Biologin mit Schwerpunkt Verhaltensbiologie/Ethologie und schrieb ihre Abschlussarbeit für den Universitätslehrgang Angewandte Kynologie zum Thema Dominanz in der Hunderziehung
(c) Happy Training Tiertraining 2016

Literaturverzeichnis:
Arhant C. et al. (2010). Behaviour of smaller and larger dogs: Effects of training methods, inconsistency of owner behaviour and level of engagement in activities with the dog. Applied Animal Behaviour Science, 123(3)

Beerda B. (1998). Behavioural, saliva cortisol and heart rate responses to different types of stimuli in dogs. Applied Animal Behaviour Science, 58(3)

Blackwell E. J. et al. (2008). The relationship between training methods and the occurrence of behavior problems, as reported by owners, in a population of domestic dogs. Journal of Veterinary Behavior: Clinical Applications and Research, 3(5)

Bradshaw J. (2013) Hundeverstand, Kynos Verlag Dr. Dieter Fleig GmbH, London

Boitani L. et al. (1995) Population biology and ecology of feral dogs in central Italy. In The Domestic Dog is Evolution, Behaviro and Interactions with Peple, Serpell J. (Ed)

Gansloßer U. & Kitchenham K. (2012) Forschung trifft Hund - Neue Erkenntnisse zu Sozialverhalten, geistigen Leistungen und Ökologie, Kosmos Verlag, Stuttgart

Haverbeke A. (2008) Training methods of military dog handlers and their effects on the team's performances. Applied Animal Behaviour Science, 113(1)

Herron M. E. et al. (2009). Survey of the use and outcome of confrontational and non-confrontational training methods in client-owned dogs showing undesired behaviors. Applied Animal Behaviour Science, 117(1)

Hiby, E. F., Rooney, M. J. & Bradshaw, J. W. S. 2004. Dog training methods: their use, effectiveness and interaction with behaviour and welfare. Animal Welfare, 13

O'Heare, J. (2008) Dominance Theory and Dogs - An In-Depth Examination of Social Dominance and its Insidious Consequences ... and an Alternative; BehaveTech Publishing, Ottawa Ontario Canada

Roll, A., & Unshelm, J. (1997). Aggressive conflicts amongst dogs and factors affecting them. Applied animal behaviour science, 52(3)

Schalke E. (2007). Clinical signs caused by the use of electric training collars on dogs in everyday life situations. Applied Animal Behaviour Science, 105(4)

Schenkel R. (1947) Expressions Studies on wolves, Of the Zoological Garden, Basle and the Zoological Institute of the University of Basle; upload: www.davemech.org/schenkel/index.html

Schilder M. et al. (2014) Dominance in domestic dogs revisited: Useful habit and useful construct? Journal of Veterinary Behavior

 

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